Nur so am Rande: scrollt ihr ab und zu alle Fotos durch, die ihr so auf dem phone habt?
Oder löscht ihr eure Fotos von Zeit zu Zeit – nachdem ihr sie auf den PC übertragen habt?
Oder schiebt ihr die pics gleich ins instagram / twitter/ pinterest board ... und löscht sie dann?
Nur wann?
Die verbleibende Lebenszeit wird logischerweise immer weniger, während die Ansammlung an Bildmaterial bei gleichbleibendem“ take a pic| take a photo“ – Verhalten immer mehr zunimmt.
Es ist daher bemerkenswert, dass ein Autor im 18. Jh. ein ähnliches Problem oder nennen wir es Thema hatte – ganz ohne Fotos und Videoclips. Es war klar, dass er auch wenn er 100 Jahre alt würde, niemals all das erzählen könnte, was er bis zum Alter von 40 Jahren erlebt hatte.
Als ihm, dem Autor Laurence Sterne, das klar wurde, hat er sich mit Witz eine Methode daraus gemacht, bei seiner Erzählung „ Leben und Ansichten von Tristram Shandy“ nicht zur Sache zu kommen. D.h. nicht zu der Sache, die man von einer „normalen“ Autobiographie erwartet. Diese beginnt i.d.R. mit der Geburt und handelt danach chronologisch die Ereignisse des Lebens ab.
Die Biographie von Tristram Shandy beginnt mit den Umständen bei seiner eigenen Zeugung. Schließlich ist Tristram nicht ganz normal, weil seine Mutter ihren Gemahl just in dem entscheidenden Augenblick als sie schwanger wurde, fragte: „Ei, mein Guter, hast du auch dran gedacht, die Uhr aufzuziehen?“ . Der Gemahl war dadurch etwas – irritiert – und so nahm das etwas schiefe Leben des Tristram seinen Lauf.
Auszug aus der dt. Übersetzung "Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman" von Laurence Sterne |
Die Biographie von Tristram Shandy wurde im Zeitalter der Aufklärung geschrieben und dort geschah bekanntlich nichts ohne Grund. Der wahre Grund ist das Prinzip aller Vernunft.
Dem Autor der Biographie ist sehr daran gelegen alle Gründe aufzuspüren, die ein Individuum als das besondere Wesen in der Welt auftreten lassen. Denn auch der kleinste „Unfall“ hat Auswirkungen auf die Reise des Individuums und bringt möglicherweise Konsequenzen hervor, die kein Arzt oder Philosoph mehr beheben kann.
Kurzum. Der Leser erfährt - allerdings spät -, warum Tristrams Mutter ausgerechnet diese Frage stellt und sowohl die Schilderung wie auch die Antwort zaubern einem unwillkürlich ein amüsantes Lächeln ins Gesicht.
Sinnreich und so logisch ist auch, daß nichts ohne Grund ist. Und doch: je mehr Gründe der Leser kennenlernt, umso fraglicher wird, ob sie es wirklich sind, die dieses Leben bestimmen.
Damit schliesst sich der Zeit-Kreis.
Denn es sind nicht die äußeren Umstände, die diese Erzählung am Laufen halten. Nein, es sind die Reflexionen und Assoziationen, die einem unweigerlich einfallen und die fortlaufend während des Erzählens entstehen.
Die Erzählung des Lebens muss so zwangsläufig viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als das Leben selbst.
Jetzt wird auch klar, dass die Wiederbetrachtung unserer schnell-geschossenen Fotos und der Videoclips viel mehr Zeit braucht, als die Momentaufnahmen an sich.
Alles spielt sich im Geiste ab. Wird analysiert und verglichen und hinterfragt.
Philosophisch ….. philosophisch…… philosophisch!